Zum Seiteninhalt springen

In einem dreistöckigen Plattenbau nahe der Altstadt Schmalkaldens mit ihren schmucken Fachwerkhäusern lebt Olena Kudina mit ihren Kindern Diana und Danylo und ihrer Mutter Nadiia in einer hellen, frisch eingerichteten Wohnung. Sofa, Sessel, ein Tisch mit vier Stühlen und eine Schrankwand, die zwei Töpfe Orchideen als einzige Dekoration schmücken, die Wände kahl – alles wirkt noch etwas unpersönlich und fremd, eher wie eine vorübergehende Bleibe als ein richtiges Zuhause.

Das ist in der Hafenstadt und Region Mykolajiw im Süden der Ukraine, wo Olenas Mann, Vater und Onkel immer noch unter ständigem Beschuss der russischen Armee leben. Als wirtschaftliches und strategisches Zentrum der Region war sie vom ersten Kriegstag an Angriffsziel, ist bislang aber noch unter ukrainischer Kontrolle.

Es ist der 8. Juni, erst tags zuvor ist ein großes Getreidelager bei russischen Angriffen zerstört worden. Weizen, Raps und Sonnenblumenöl werden normalerweise von Mykolajiw aus in die EU verschifft. Seit Ende April sind Olena, Nadiia und die Kinder in Südthüringen, versuchen, trotz aller Sorgen, ein möglichst normales Leben zu führen. „Wir wollen so schnell wie möglich wieder nach Hause zurückkehren.

Aber solange das nicht geht, wollen wir hier selbstständig und gut integriert leben können“, sagt die 34-jährige Olena. Das heißt: eine Aufenthaltsgenehmigung beantragen, beim Jobcenter melden, Deutschkurse belegen, Schulplätze für den siebenjährigen Danylo und seine zwölfjährige Schwester finden. Das laufende Schuljahr beenden sie online in der Ukraine.

Bei allem unterstützt die Flüchtlingshilfe der Immanuel Diakonie Südthüringen die vier. So haben sie auch die Wohnung zugewiesen bekommen, die über einen Fahrstuhl erreichbar ist. Denn die 54-jährige Nadiia sitzt seit einem OP-Fehler im Rollstuhl. Nur knapp passt dieser in den engen Lift. Vor dem Krieg arbeitete Olena als Erziehungshelferin, ihr Mann Dimitri ist bei der Armee und seit 2014, seit der Annexion der Krim und den Unruhen im Donbass, viel weg von zu Hause.

Kurz nach Kriegsbeginn flieht Olena mit den Kindern zum Bruder der Mutter aufs Dorf, auch dort verbringen sie bei Angriffen Tage im unterirdischen Gemüseverschlag. Als Anfang April die Getreidefelder brennen, die Gräueltaten an Zivilisten in Butscha bekannt werden und wenige Tage später Russland die Wasserversorgung in Mykolajiw zerstört, beschließt sie zu fliehen.

Ihr Vater bringt sie, die Kinder und die Mutter am 15. April mit dem durch Explosionen fensterlosen Auto nach Medyka zur polnischen Grenze. Im Auffanglager sagen sie, dass sie nach Bad Salzungen in Südthüringen wollen – zu Freunden. Gerade, als es heißt, dorthin gebe es keine Busoder Zugverbindung, spricht sie ein Freiwilliger an, der mit seinem Sportverein Hilfsgüter an die Grenze gebracht hat: „Wenn ihr in 15 Minuten soweit seid, könnt ihr mit uns nach Oberhof fahren, das ist in der Nähe.“ „Das hat uns so viel Hoffnung gegeben, dass alles gut wird“, sagt Nadiia. In Oberdorf sind sie im Hotel untergebracht, frische Kleidung und persönlicher Bedarf warten dort auf sie, alles Spenden.

Weil Nadiia im Rollstuhl sitzt, bittet die Ausländerbehörde die Immanuel Diakonie Südthüringen, ob sie sich um die Familie kümmern und eine Wohnung besorgen könne. So landet sie in der Wohnung in Schmalkalden. Eine Freiwillige organisiert die sehr gut erhaltenen Möbel. Später bringt sie die Orchideentöpfe vorbei, damit es wohnlicher wird.

Zwischen Hoffen und Bangen richten sich Olena, Nadiia und die Kinder in ihrem neuen Leben ein. Ihre Freunde in Bad Salzungen sehen sie regelmäßig. Doch die Sehnsucht nach den Männern und der Heimat bleibt. Ende Juli dann der Entschluss: Wir kehren zurück. Allen Gefahren zum Trotz hoffen sie auf das Beste für sich und die Ukraine.